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THC THX
Project Info
- 💙 Raum für drastische Maßnahmen
- 💚 Tobi Keck
- 🖤 Groupshow
- 💜 Sophia Pietryga
- 💛 @lilillaser für Raum für drastische Maßnahmen, Tobi Keck
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Installation view with MIchael Eppler, Fatma Cankaya, Fjorsk, Paul Waak, Magnus Krüger, Bernhard Holaschke, Paul Waak, Anna Ley, pic by @lilillaser
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Installation view, Big Buddy by Klit Clique, pic by @lilillaser

Works by Barbara Lüdde and Magnus Krüger, pic by @lilillaser

Installation view, pic by @lilillaser

Installation view, pic by @lilillaser

Installation view, painting by Paul Waak, prints by Claudia Holzinger, pic by @lilillaser

Works by Michael Ullrich, pic by @lilillaser

Opening, pic by @lilillaser

Opening, pic by @lilillaser

Opening, pic by @lilillaser

Opening, pic by @lilillaser

Opening, pic by @lilillaser

Official text of the Cannabis law, pic by Tobi Keck

Work by Claudia Holzinger, pic by Tobi Keck

Works by Hannes Uhlenhaut, pic by Tobi Keck

Works by Klit Clique, pic by Tobi Keck

Work by Tobi Keck, pic by Tobi Keck

Work by Matti Schulz, pic by Tobi Keck

Work by Spatzi Spezial (Sophia Süßmilch & Valentin Wagner), pic by Tobi Keck

Work by Anna Ley, pic by Tobi Keck
Eine Ausstellung zur Cannabis-Legalisierung zu machen, den „Raum für Drastische Maßnahmen“
in ein Bongzimmer zu verwandeln, mit ranzigen Sofas und Vitrinen auszustatten, ihn mit Arbeiten
zu bestücken, die sich ganz konkret dem Cannabis annehmen und genauso in den Ausstellungsraum
passen, wie in einen Highclass-Headshop einer entkriminalisierten Zukunft, das klingt erst mal nach
einer dieser Ideen, die man an einem langen Abend mit Freund:innen entwickelt, an dem das ein
oder andere Bier und der ein oder andere Joint konsumiert wurden. Jede:r, der Ausstellungen macht,
kennt wahrscheinlich diese Situation, dass die Ideen, die an einem solchen Abend entstehen, im
Zustand des Rausches, der Gemeinschaft und der Euphorie, in diesem geschlossenen Kontext
phantastisch klingen, man schwört sich bei der Verabschiedung, am nächsten Tag mit der
Umsetzung anzufangen; diesmal machen wir das auf jeden Fall! Der nächste Morgen bringt meist
die Ernüchterung, vielleicht war die Idee doch nicht so gut, im nachdröhnenden Schädel klingt es
auch echt anstrengend, der nächste Abend wird kommen, damit die nächsten Konzepte, das ewige
Rad der nicht umgesetzten Projekte dreht sich weiter.
Die von Tobi Keck als „Kifferparty“ kuratierte Ausstellung THC THX ist nur auf den ersten Blick
eine solche Pott-Geburt, vielmehr ist sie eine sorgfältig inszenierte, umfassende Schau mit Arbeiten
von über 20 Künstler:innen, die sich mit den unterschiedlichen Lesarten von Cannabis
auseinandergesetzt haben: Der Botanik, dem Anbau, den unterschiedlichen Formen des Konsums
und natürlich den popkulturellen Referenzen bis Klischees, zwischen alterwürdigem USamerikanischen
Hip Hop bis zum Jugendzimmer mit Konsole, Sofa und Beistelltisch voller
Aschenbecher, Baumaterialien und Beschäftigungsmöglichkeiten. Und natürlich ist auch das
Eröffnungsdatum, der 20.4.2024 (in amerikanischer Schreibweise 04/20/2024), nicht zufällig
gewählt: 20 Tage sind seit der Cannabis-Legalisierung in Deutschland vergangen. Der erste April
dieses Jahres war für die einen ein Feiertag der Erleichterung, der Entkriminalisierung des eigenen
Lebensstils, inklusive Party vor dem Brandenburger Tor, gleichzeitig posteten Junge Union-
Anhänger Fotos in „Anti Cannabis Cannabis Club“-Hoodies (für 35€ zu kaufen bei der JU
Sachsen). Besonders in konservativen Kreisen wurde die Legalisierung nicht nur kritisch gesehen,
sondern teilweise so dämonisiert, dass man sich an die Drastik früher US-amerikanischer
Aufklärungsfilme erinnert fühlte, in denen meist ein junges Mädchen zu einem einzigen Joint
verführt wird und in der Folge schwanger, obdachlos, kriminell und heroinabhängig endet.
Gleichzeitig ist der 20. April seit den 90ern inoffizieller Feiertag der Konsument:innen, von
Kalifornien ausgehend und seit einigen Jahren auch hierzulande und um zwanzig nach vier die
Klimax dieses Tages. Die mittlerweile zahlenmystisch aufgeladene Bedeutung hat sich popkulturell
so verselbständigt, dass 420 allgegenwärtig ist und als Easteregg in Serien und Filmen (nicht nur
Stoner Movies) zu finden ist, in Literatur und Liedtexte eingeflochten wird und sogar die Börse
beeinflusst, wenn Elon Musk Tweets mit dem Code absetzt.
Diese Phänomene der Sub- und Popkultur fließen natürlich in die bildende Kunst ein und
befruchten sich wechselseitig, so dass man bei manchen Trends kaum sagen kann, ob sie zuerst im
Atelier oder auf der Straße sichtbar wurden, durch das Internet werden Urheberschaft und Ursprung
zudem immer schwammiger. Blickt man in die Geschichte, ist die heutige Präsenz von Cannabis in
Musik, Mode, Kunst und allen anderen kulturellen Bereichen nie erreicht worden, obwohl der
Konsum seit mindestens 5000 Jahren belegt ist. Zwar ziehen sich quer durch die Kunstgeschichte
Abbildungen von abwesend grinsenden, spöttischen Männergesichtern, die als Stoner identifiziert
werden können, aber was sich im Kopf der Pfeife befindet, wissen wir meist genauso wenig, wie
was sich im Kopf des Rauchenden abspielt; ob in den bongartigen Pfeifen der Höllendarstellungen
von Hieronymus Bosch neben menschlichen Körperteilen auch Haschisch verbrannt wird, ist
ebenso unbekannt. Weitet man den eurozentrischen Blick, finden sich weitaus mehr Beispiele, von
Ägypten bis Ostasien: Abbildungen der Pflanze und ihres Anbaus, wie vom medizinischen und
lustvollen Konsum, motivisch ähnlich den Arbeiten dieser Ausstellung. Doch die Lust am und das
Bedürfnis nach Rausch existiert immer und überall, denken wir nur an Bacchus, der seit der Antike
stetiges Mitglied im klassischen Bildprogramm ist und dessen Weinrebe man, seinem
Gesichtsausdruck nach zu urteilen, problemlos durch eine Cannabispflanze und das Glas durch
einen Joint ersetzen könnte. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich zudem das Klischee breitgetreten,
dass Künstler:innen und Intellektuelle ohne die Zufuhr von Kreativität auslösenden und
Schöpfungskraft einfangenden Substanzen nicht tätig sein können. Gegenüber aktueller
psychologischer Studien, die den direkten Zusammenhang zwischen Kreativität und Cannabis-
Konsum anzweifeln, stehen Charles Baudelaires Essay über „Wein und Haschisch“ und bekennende
Kiffer wie Nietzsche, Wagner oder Schopenhauer als Beispiele für das bis in die Gegenwart
reichende Stereotyp.
Was wird nun die (Teil-)Legalisierung in Deutschland mit der Kunst und Popkultur machen? Bleibt
das Symbol für Freiheit, Rebellion und Coolness erhalten, oder verliert sich der Reiz? Oder wird die
ikonisierte Darstellung in zehn Jahren so unangenehm sein, wie die onkeligen Bierwerbungen der
90er Jahre aus Gegenwartsperspektive? Wir werden es sehen. Vielleicht schwappt die urbane
Freiheitssehnsucht, wie in New York schon morgens an jeder Ecke Grasgeruch zu inhalieren, nach
Castrop Rauxel über, vielleicht werden wir in ein paar Monaten genervt sein von Bänker-Typen, die
sich statt über den Säuregehalt von Kaffeebohnen oder die Kopfnote von Rotwein über
differenzierte Unterschiede beim Cannabisanbau auslassen. Wahrscheinlich wird sich in den
Großstädten, wo Cannabis neben Alkohol und Nikotin zum Status quo des Rausches gehört, erst
einmal nichts ändern, was bleibt, ist die Feier des Ist-Zustandes: THC THX!
Text von Sophia Pietryga (*1991 in Pforzheim), freie Kuratorin, Autorin und Kunstgeschichtlerin
aus Leipzig.
Sophia Pietryga