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2021
KubaParis
Achatschnecken in der Auguststraße







Location
BerlinDate
30.04 –13.05.2021Photography
Paul BaumgartenSubheadline
400 Plakate in Mitte und Schöneberg, Werbefläche statt White Cube zum Gallery WeekendText
Luise Marchand hat beobachtet, wie Schnecken ihre Körper über
Geldscheine und Münzen ziehen, an den Falten und Stapeln hochklettern,
voller Vorsicht und Neugierde ihre Fühler ausstrecken. Die Bilder, die
sie von diesen Szenen gemacht hat, erinnern mit ihren hellen und flächig
organisierten Farben an Stockfotografie. Tatsächlich sind die Aufnahmen
der Schnecken in ihrer Landschaft aus Geld gerade unter dem didaktischen
Titel „Zeit ist Geld“ zur Illustration von Nachrichten und Werbeanzeigen
gut geeignet. Und doch sind die Konstellationen nicht so glatt, wie man
vermuten könnte, machen sie allerlei Probleme. Denn es scheint so, als
entwickelten Schnecken und Geld einige Eigenschaften, die erst bei ihrem
unwahrscheinlichen Aufeinanderstoßen sichtbar werden. Vielleicht ist es
vergleichbar mit dieser Reaktion im Mund, die sich einstellt, wenn man
ein weichgekochtes Ei mit einem Silberlöffel isst. Schnecken und Geld
sind jeweils für sich genommen okay. Ihre Herkunft aus der
Natur oder der Zivilisation, pflegt man getrennt zu denken.
Luise Marchands Schnecken schleppen sich über die Scheine und Münzen,
wie sie es sonst über Gräser und Fallobst tun. Dass sie den warmen und
schleimigen, im Ziel schließlich verschlingenden Kontakt ausgerechnet
mit Agenten der Marktwirtschaft vollführen, wird sexuell und wirkt
verstörend.
Geld, also Scheine und Münzen, sind anale Gegenstände. Die kulturelle
Praxis, die sie hervorgebracht hat, basiert auf Arbeitsethos und
Sparsamkeit. Scheine und Münzen werden festgehalten und angehäuft,
selbst noch nach der digitalen Auflösung ihrer papiernen und metallenen
Gestalt. Tatsächlich gehören Geldscheine und Münzen nicht der
natürlichen Umgebung von Schnecken an und sie gehören auch nicht zu
jenem Teil des menschlichen Alltags, für den sich Schnecken
interessieren. Sie ziehen sich als unmittelbarster Teil von Natur über
den wohl am meisten vermittelten (oder entfremdeten) Teil einer Kultur.
Radek Krolczyk